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Warum „Rassismus ist doof“ nicht reicht – der Anti-Bias-Ansatz

Autorenbild: Nina ReißnerNina Reißner

Was ist Diskriminierung?


Wie wirken sich Diskriminierungserfahrungen auf Betroffene aus? Wie können wir Diskriminierung im pädagogischen Kontext erkennen und bekämpfen? Auf diese Fragen will der Anti-Bias-Ansatz Antworten liefern, der in den 1980er Jahren in den USA von Louise Derman-Sparks und Carol Brunson-Phillip entwickelt wurde.



Obwohl Vielfalt oder Diversität gesellschaftlich als erstrebenswerte Ziele angesehen werden, tauchen die Begriffe im pädagogischen Kontext oft im Zusammenhang mit Herausforderungen oder Problemen auf:


Heterogenität in Lerngruppen wird von Lehrenden als Grund dafür benannt, warum Unterrichtsgestaltung erschwert wird oder Lernerfolge nicht erzielt werden können, Fehlverhalten von Lernenden wird auf die Werte oder Kultur der migrantischen Herkunftsfamilien zurückgeführt und es gelten in vielen Bildungseinrichtungen Sprachverbote für die Erstsprachen der Lernenden.


Wie kann man also dieses hehre Ziel der Diversität auch im pädagogischen Kontext erreichen, sodass alle den Wert darin erkennen? Wie kann man einen diversitätsbewussten Umgang mit Lernenden als wichtigen Schritt hin zu einer gerechteren Gesellschaft sehen, in der jeder Mensch die eigenen Potenziale voll ausschöpfen kann, gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben kann und geschützt ist vor Diskriminierung, wie es unser Grundgesetz und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz garantieren wollen?


Der Anti-Bias-Ansatz (engl. bias = Voreingenommenheit, Schieflage) ermutigt zunächst einmal, bei sich selbst anzufangen: Wo habe ich in meinem Leben schon einmal Diskriminierung erfahren? Welche Gefühle gingen mit dieser Erfahrung einher? Aber auch die Frage, wo man in seinem Leben schon einmal diskriminiert hat und wie man sich dabei gefühlt hat, soll reflektiert werden.


Wichtig sind dabei zwei Erkenntnisse:

1.       Wir sind alle in ein strukturell ungleiches System verwickelt, d.h. wir sind aufgrund unserer Merkmale oder Lebensumstände alle teilweise von Diskriminierung betroffen. Teilweise sind wir aber auch in der privilegierten, mächtigeren Position, als „normal“ angesehen zu werden und auch festlegen zu können, was „normal“ ist und uns nicht rechtfertigen zu müssen.


2.       Bei jeder Form von Diskriminierung kommt es nicht notwendigerweise auf die Absicht an, sondern auf die Wirkung, die die Handlung oder Äußerung auf Betroffene hat. Diese These wird oft damit veranschaulicht, dass es wehtut, wenn ich jemandem auf den Fuß getreten bin, ganz egal, ob ich es absichtlich getan habe oder nicht (vgl. Kübler 2015).


Durch diese Erkenntnis, dass es bei Diskriminierung nicht um „gute“ und „böse“ Individuen geht, sondern um eine strukturelle, historisch gewachsene gesellschaftliche „Schieflage“, und die intensive Auseinandersetzung mit Gefühlen, die diese Schieflage auslösen kann, sollen Empathie und ein Verantwortungsbewusstsein gefördert werden, damit sich Menschen aktiv gegen Diskriminierung einsetzen wollen.

Diese persönliche Auseinandersetzung mit Ungleichheitsstrukturen in der Gesellschaft soll durch den Anti-Bias-Ansatz angestoßen und begleitet werden.


Dabei verfolgt der Ansatz vier Ziele:

1. Ich- und Bezugsgruppenidentität stärken – ohne Überlegenheitsgefühl

2. Erfahrungen mit Vielfalt machen und sich angesichts von Unterschieden   wohlfühlen

3. Ungerechtigkeit sowie Schieflagen wahrnehmen und benennen können

4. Aktiv werden gegen Unrecht und Diskriminierung


Zunächst einmal sollen die Teilnehmenden erkennen, dass sie viele Gemeinsamkeiten haben, aber auch, dass sie alle individuell unterschiedlich sind. Außerdem reflektieren die Teilnehmenden, inwiefern ihre Herkunft, ihr Umfeld oder ihre Lebensumstände sie geprägt haben.


In einem zweiten Schritt können sich die Teilnehmenden über ihre unterschiedlichen Erfahrungen und Vorstellungen austauschen. Hierbei ist es wichtig, dass jeder Person mit gleich viel Neugier, aber auch Rücksichtnahme begegnet wird. Es soll vermieden werden, dass einzelne Personen über intime Informationen ausgefragt werden oder sich zu sehr rechtfertigen oder erklären müssen. Durch das Schildern verschiedener Lebensrealitäten und Perspektiven erkennen die Teilnehmenden, dass es notwendig und wichtig ist zu lernen,  in einer pluralen Gesellschaft Unterschiede ohne Be- oder Abwertung anzuerkennen.


Als nächsten Schritt bekommen die Teilnehmenden Informationen zu verschiedenen Diskriminierungsformen und dazu, wie diese sich zeigen, von Gewalttaten bis hin zu Mikroaggressionen. Mikroaggressionen sind subtile diskriminierende Äußerungen oder Handlungen im Alltag, die wie Mückenstiche wirken: Wenige Mückenstiche sind lästig, aber noch gut zu ertragen. Wenn es aber zu viele werden, wird die Situation unangenehm bis unerträglich für Betroffene (vgl. Hasters 2021). Beispiele für Mikroaggressionen sind, wenn sich jemand im Bus nicht neben eine Person mit Kopftuch setzen will oder wenn ein homosexuelles Pärchen in der Öffentlichkeit angestarrt wird.


Schließlich werden die Teilnehmenden dazu ermutigt, sich aktiv für eine gerechtere Gesellschaft einzusetzen. Die Bandbreite dieses Einsatzes gegen Diskriminierung reicht von Selbstfürsorge, um genug Ressourcen für schwierige Situationen zu besitzen, über das Widersprechen bei diskriminierenden Äußerungen mithilfe von Kommunikationsstrategien wie der Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg bis hin zu Konzepten, wie das eigene Arbeitsumfeld diversitätsbewusster und diskriminierungskritischer gestaltet werden kann.


In der IGLU-Studie von 2023 wird deutlich, dass sich gesellschaftliche Unterschiede in Deutschland sehr stark auf die Bildungschancen von Kindern auswirken. Genau deshalb ist es so wichtig, dass Lehrende sich bewusst mit eigenen Vorurteilen und Denkmustern, die zu Diskriminierung führen können, auseinandersetzen und in ihrer beruflichen Praxis darauf hinarbeiten, gesellschaftliche Ungerechtigkeiten auszugleichen.

 


 

Quellen:


Hasters, Alice (2021): Was weiße Menschen über nicht Rassismus hören wollen, aber wissen sollten.

Kübler, Annette (2015): Rassismuskritischer Leitfaden. Frei verfügbar zum Download unter https://www.elina-marmer.com/wp-content/uploads/2015/03/IMAFREDU-Rassismuskritischer-Leiftaden_Web_barrierefrei-NEU.pdf (31.07.2024)

Panesar, Rita (2022): Gerechte Schule.

TEDx Talk von Inna Zeitler: Anti Bias - oder wie wir lernen, Schubladen klicken zu hören. Video unter https://www.youtube.com/watch?v=Zvi57CxSdGo (31.07.2024)

Deutsches Schulportal: Internationale IGLU-Studie – die wichtigsten Ergebnisse:  https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/iglu-studie-lesekompetenz-der-viertklaessler-verschlechtert-sich-deutlich/ (31.07.2024)

 

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